373 Kilometer Hitze und Staub, Schotterpiste, Gebirge , tiefer Wüstensand. Das Desert Dash ist das härteste Mountainbike-Rennen der Welt. Start in der namibischen Hauptstadt Windhoek, Ziel in Swakopmund an der Küste.
Wie ein Magnet zieht es die Extremsportler auf dem Rad an jedem ersten Dezemberwochenende des Jahres für ein Wochenende in dieses einsame Land. Die ehemalige deutsche Kolonie im Südwesten Afrikas ist etwa doppelt so groß wie Deutschland, wird aber von nur gut 2 Millionen Menschen bewohnt.
Angefangen hatte alles 2005, als eine kleine Gruppe Radsportverrückter erstmals das Abenteuer versuchte, die gut 371 Kilometer von der Hauptstadt Windhoek zur Atlantikküste in einem Stück zurückzulegen. Die Distanz des Rennens ist schon enorm. Die speziellen Bedingungen machen es beinahe zu einem Wahnsinn: Bei gleißender Hitze mit Temperaturen um 40 Grad geht’s nachmittags los. Ungeschützt vor der Sonne, radeln die Fahrer mitten hinein in die Wüste.
Über schwierig zu fahrende Geröllstrecken wird das baumlose Khomasgebirge überquert, bei Einbruch der Nacht beginnt der Kampf der Radler gegen die Tücken der Strecke, Müdigkeit und einsetzende Kälte. Abwechselnd Geröll und tiefer Sand erfordern neben ausgezeichneter Kondition auch ständige Konzentration. Jeder Strauch sieht im dünnen Scheinwerferlicht aus wie ein Stein, tiefe Löcher und Abgründe sind meist erst im letzten Moment zu erkennen.
Der böige Südwestwind von der Küste bläst den Fahrern während der kompletten Tour ins Gesicht. Nur die mental Stärksten sind diesen komplexen Bedingungen gewachsen.
So musste auch ich, nach einem Teamstart im Vorjahr mich endlich dieser Herausforderung als Solo-Racer stellen. Nach über 11.000 Trainingskilometern, einer Woche Safari Erholung fühlte ich mich gut und fit in der Tiefgarage der Grove-Mall of Namibia kurz vor dem Start. Laut dröhnte die Musik durch die Betonhalle und ich konnte es kaum erwarten dieses tolle Land mit dem Bike zu bezwingen. Zwei volle Flaschen Wasser, Fresubin aufs Oberrohr geklebt, Riegel, Gel´s, vier Schläuche an Bord, sowie Gaskartuschen, ja, ich war auf alles vorbereitet.
15:00 Uhr, nach dem Start raus in die sengende Sonne, 38° Grad im Schatten, nur da war keiner. Kurzer Stau an der ersten Kreuzung zur Müllkippe, wie letztes Jahr, man unterhält sich und noch ist alles recht lustig. Die ersten welligen fünf Kilometer und dann kommt der Anstieg zum Kupferbergpass, 20 Kilometer bergauf und 600 Höhenmeter, dies waren die Ersten von über 3100! Ich komme am Checkpoint 1 an, Wasser auffüllen, nie einen Waterpoint auslassen, das ist die wichtigste Regel überhaupt!
Lasse mich scannen und beginne die zweite Etappe, meine Angstetappe, die Abfahrt über den Us-Pass, wo ich letztes Jahr meinen Sturz hatte. Stetig zunehmende Gegenwinde machten die Sache nicht leichter, es bremste sogar in der Abfahrt. Die Straße wurde etwas begradigt, und die Löcher waren weg. Die Etappe erwies sich dann doch nicht so schlimm, wie ich sie in Erinnerung hatte. Gebremst durch den Wind erreichte ich den zweiten Checkpoint fast eine Stunde später, als letztes Jahr, und dann schon in völliger Dunkelheit, es war mittlerweile 21:00 Uhr. Kurz verpflegen, und weiter, ich wollte die dritte Etappe hinter mich bringen, die schwerste vom Profil her, ich fahre allein, da ist niemand, außer meinem Scheinwerferkegel. Es wird kälter, der Wind bläst noch stärker von vorn als in den letzten Stunden. Erst geht es auf der Schotterpiste steil bergauf, dann im Licht der Fahrradlampe halsbrecherisch bergab. Irgendwann mitten in der Nacht erreichte ich den Checkpoint drei, das Zeitgefühl war komplett weg. Ich freute mich auf etwas zu Essen und warme Klamotten für den Rest der Nacht. Der erste Checkpoint in dem die Racer ihre Betreuer treffen, nach etwa 180 Kilometern. Ich bekam meinen Startbeutel, füllte meine Verpflegung auf, und wechselte die Kleidung. Doch leider hatte mein Betreuer nichts zu Essen und keine Cola mehr, ich hätte zu dem Zeitpunkt einen Mord für eine Flasche Cola begangen. Wer betreute mich da? Was Ahnungsloseres und Hilfloseres hatte ich ja noch nie erlebt. Ich schickte ihn mit dem Bike zum Service, die Kette reinigen lassen, der Sand und Staub war mittlerweile überall. Selbstständiges Denken war scheinbar nicht so sein Ding, angepisst und sauer fuhr ich weiter.
Etappe vier, irgendwo am Half-Way-Point gibt es einen Punkt zu holen, und Wasser, natürlich. Der Punkt wird auf die Startnummer geklebt, weil man sonst abkürzen konnte, mir kamen Scheinwerfer entgegen, es sah für mich so aus, als wäre ich der Letzte. Über drei Kilometer, dann bekam ich auch meinen Punkt, und ich wollte nicht mehr, die Nacht und der Gegenwind kosten Kraft ohne Ende, heute ist die Wüste brutal. Der Lampenakku streikt und ich muss auf meine Notfall Lampe umsteigen, der Scheinwerferkegel wird sofort deutlich kleiner. Ich fahre zurück zur Kreuzung und mir kamen jetzt auch noch etliche Racer entgegen, ich war doch nicht der Letzte! Die kleinen Freuden der Nacht. Ich kämpfte gegen mein inneres Selbst, du fängst an, blöd zu rechnen, die Geschwindigkeit, der Schnitt, reicht es noch? Wie von Sinnen drücke ich auf meinem Garmin rum, und fahre am Straßenrand in einen Sandhaufen. War klar dass ich auf den einzigen Stein und Geröllberg stürze, der weit und breit zu sehen war. Mein Knöchel wird dick, die Hüfte blau und die Hand schmerzt auch irgendwie, aber ich bin wieder voll wach. Langsam geht am Horizont hinter mir die Sonne auf und ich sehe einen stahlblauen Himmel, endlich ist die Nacht vorbei. Eine Stunde später wird es wärmer und die Feuchtigkeit steigt auf, die Sicht sind vielleicht noch 30 Meter, es wird nass und trüb und mir tropft das Wasser aus dem Helm über die Brille bis in die Schuhe. Endlich das Schild, fünf Kilometer zum Checkpoint vier. Die Brille ist schon lange im Trikot, ich fahre durch eine neblige Mondlandschaft. Vor mir sehe ich noch zwei Fahrer, aber die waren nicht zu erreichen, das Gefühl der Einsamkeit verschwand langsam. Am Checkpoint vier, endlich, der Magen kracht und nur von Gels und Riegel kann man sich nicht dauerhaft ernähren. Der süße Geruch von frischen Waffeln macht mich fast irre. Meine Betreuer hatten tatsächlich ein Schinken-Käse-Brötchen für mich, und eine halbe Flasche Cola, da sag ich jetzt nichts dazu. Es gab auch einen Brillenservice, also ab zum Reinigen und weiter fahren, ich habe Angst das ich die CutOff Zeit nicht schaffe.
Etappe fünf, voll in der Wüste. 28 Kilometer an einer Pipeline entlang, im Gegenwind, 12 km/h sind zu wenig! Ich rechne und rechne, ich muss schneller sein! Irgendwann dieser nicht enden wollenden Hölle höre ich Musik, Half-Way Point! Wasser auffüllen und es gibt Obst und Plätzchen! Die hatten wirklich Weihnachtsplätzchen! Gierig stopfte ich mich voll damit und hüpft wieder aufs Bike, mein Hintern ist mittlerweile die Hölle, es fühlt sich an, als wenn ich auf rohem Fleisch sitze. Mehr weiß ich nicht mehr. Die Etappe geht zu Ende, eine seichte Abfahrt zum Checkpoint fünf, die Landschaft ein Traum, der Rest nicht. Ich fahre in den Checkpoint, werde gescannt, wo war mein Betreuer?? Es war 11:20 Uhr. Zwei Runden um den Parkplatz, niemand da, das darf nicht wahr sein!!!
Wütend schimpfend fuhr ich weiter, mit gefüttertem Langarmtrikot durch die Wüste. Letzte Etappe. Der Schweiß lief mir aus den Ärmeln über die Handschuhe, es ist heißer als die Hölle, und ständig dieser Wind. Der Sand war weich und locker, oft blieb ich stecken und musste absteigen. Zitternd setzte ich mich auf einen Stein, nach einer kurzen Inventur, aß ich meine letzten zwei Riegel und trank noch eine halbe Flasche, das Zittern ließ nach, Unterversorgung, das fehlte jetzt noch! Andere Fahrer schoben ihre Räder an mir vorbei, fragten ob alles in Ordnung wäre, nett. Also gab ich mir einen Tritt in den Hintern, der schon schmerzte, und stieg wieder aufs Rad. Ich wusste, das auf halber Etappe ein Waterpoint war und das Ende der Wüste, dass trieb mich an. Am Waterpoint waren alle lustig und feierten, die spinnen! Wasser auffüllen, Cola trinken, die aufgeschnittenen Orangen waren inzwischen Trockenobst. Der Wind wurde stärker, und die Wüste ging zu Ende. Endlich nach so vielen Kilometern fand ich ein Zweierteam wo ich mich dran hängen konnte. Professionelle Windkante fahren bei heftigstem Südwestwind, fast lehrbuchmäßig. Der Rest geht schnell, Ziel ist „Platz am Meer“ an der Küste von Swakopmund, ich gebe noch mal richtig Gas durch den Ort, will es hinter mich bringen. Im Ziel, endlich, es war ein Höllenritt, es gibt nichts, was nicht weh tut. Ein kaltes Bier und was Essen, aber richtig und nicht süß, da wird man auf Grundbedürfnisse reduziert.
Im nach hinein erfuhr ich auch, dass mein Betreuer am der fünften Time Station nicht da war, weil er den Zieleinlauf von seinem Sohn sehen wollte, und deshalb zwei Fahrer hängen ließ! Alter! You have one fucking job!!! Begegnen hätte er mir zu diesem Zeitpunkt nicht! Aber egal, Das Ding war im Sack, gefinisht innerhalb der CutOff Zeit, Tot aber glücklich.
Das war mit Abstand das Härteste, was ich je gemacht habe, aber geil war es allemal. Die vier Kilometer zum Hotel fuhr ich im Stehen, was anderes war nicht mehr möglich. Bike weg und Duschen, geistesgegenwärtig stellte ich mich gleich mit Klamotten und Schuhen in die Dusche, zog mich so aus. Der Sand war überall, der Wasserspiegel stieg und der Ablauf war dicht, Murphy´s Law!! Siegerehrung, Essen gehen, das Abschluss Programm. Mein Hintern war blau, und ein paar Tage später ging auch die Haut ab. Die Beine brannten und die Fußsohlen auch. Ich überlege ernsthaft mir in Swakopmund einen Sitzkringel zu kaufen. Die Hände waren so fertig, das ich drei Tage kein Besteck richtig halten konnte, aber, hey, ich hab´s geschafft!!
So zum Abschluss habe ich heute nach Weihnachten immer noch zwei pelzige Zehen am linken Fuß, aber das hört hoffentlich auch bald auf.
Viele Grüße aus dem Süden der Republik, Thomas Werthmann