Kona – Die Weltmeiterschaft. Mutter aller Rennen, Angstgegner und Freudengral. Zwölf lange Monate fiebert man auf diesen Tag hin. Schleift, ackert und schwitzt, regeneriert, verzichtet, kämpft, lacht, weint, lernt, erlebt, hofft und bangt. Die Spannung steigt. Die Dominosteine fallen einer nach dem anderen. Klipp, klapp, klipp, klapp. Hürde für Hürde wird genommen, der Weg für Kona freigemacht. Alles passt. Der Gang wird nochmal hochgeschaltet, das System ist bereit. Ankunft Kona. Ein Paradies der Moment der Ankunft: die ersten Stufen die Flugzeugtreppe hinab, der erste Atemzug Konaluft. Dampfend, schwer, voller Blumen und Träume. Training auf dem Queen K Highway, Schweiß in Strömen am Puls des Triathlon. Der Countdown läuft. Mit jedem Tag füllt sich Kona mehr mit Triathleten, es gibt kein Entrinnen mehr. Während Kona Town zunehmend von Werbebannern beflaggt wird, ist nun auch in meinem Kopf eine Diashow neu installiert. Sie läuft durch und zeigt mir unzählige Versionen meines Rennens. Leidend und triumphierend, in der Verfolgung oder unter Druck. Hawi, die Radentscheidung oder eher bei km 140?
Brütendes Nichts auf dem Queen K Highway, der Lauf durch die Party auf dem Ali Drive. Innere Durchhaltemonologe werden formuliert, brennende Muskeln simuliert. Die Spannung wird unerträglich. Irgendwann ist dann das Rad eingecheckt und die Pasta gegessen. Es folgt eine kurze nervöse Nacht. Der Morgen fast wortlos mit flauem Magen. Beim Schein des Flutlichts am tropischen Strand die letzte Salbung mit Sonnencreme. Booooom! Die Kanone!
Und dann geht alles sehr schnell. Die Arme peitschen durch den Pazifik, der Atem rast. Pitsch patsch. So schnell raus aus dem Wasser wie rein. 1:09. perfekte Schwimmzeit! Check! Weiter im Text. Meine Taktik auf dem Rad: die ersten 40km ganz locker, danach ganz langsam beschleunigen und dann ab km 140 Vollgas. Die Zurückhaltung fällt mir sehr schwer. Ich murmele im Geiste „wir sehen uns wieder“ und übe mich in Gelassenheit. Auf dem Weg nach Hawi fange ich mit dem Überholen an. So langsam fängt es an, Spass zu machen! Runter nach Hawi kommt endlich der Wind: „Now we are talking“! Ich liebe diesen Kampf! Es ist anstrengend, doch ich geniesse jeden Tritt. Der Wind pfeifft und ich darf machen was ich liebe! Hier und jetzt. Kona. Weltmeisterschaft, eines der härtesten Rennen der Welt. Und ich bin dabei! Bei km 140 sehe ich endlich Julie und bekomme die Info, dass ich auf Platz 23 meiner Altersklasse liege. Ich balle die Faust und drücke das Gaspedal durch. Und ich habe Kraft. 12 Monate Training entfalten ihre Wucht. Der Wattmesser überschlägt sich und ich fliege. Irgendwann höre ich auf, die Frauen zu zählen, die ich überhole. Ich weiß, ich bin jetzt ganz vorn dabei. Mein Tank ist voll und ich peiffe mit dem Wind Hallelujah! Einziger kleiner Wermutstropfen ist mein Fuß. Aus mir unbekannten Gründen scheint mein linker, zwei Jahre alter Radschuh plötzlich zu klein und ich habe ziemliche Schmerzen. Allerdings schaffe ich es aber, den Schmerz durch ständiges Fussbewegen und das Krümmen des Fusses im Rahmen zu halten. Ausserdem pusht mich das Adrenalin des Wettkampfs. Was ist das bisschen Fussdruck gegen all das, was ich in den vergangenen Jahren hier erleben musste!? Ich rase mit wehenden Fahnen gen Wechselzone. Yeah! Dies ist mein Tag, mein Rennen, heute gelingt alles! Als sechste meiner Altersklasse springe ich vom Rad.
Neuer Film. Unvermittelt und gnadenlos. So gnadenlos wie er eben ist, der Ironman Hawaii. In dem Moment in dem ich den linken Fuß erstmals auf den Boden setze merke ich, er ist nicht mehr wie er vorher war. Durch das Krümmen bei voller Druckbelastung ist irgendwas kaputt gegangen oder verkrampft. Ich kann eigentlich nicht auftreten. Auf einem Bein hüpfe ich durch die Wechselzone. Versuche den Fuß zu dehnen und ihn vorsichtig zum Leben zu erwecken. komm Junge! Bitte komm zurück!! Der Junge antwortet nicht. In Laufschuhen geht es ein bisschen besser. Wenigstens kann ich auftreten, aber der Fuß fühlt sich an als sei er aus Holz. Ich humple los. Mit Minischritten. Einen nach dem anderen. Will dem Fuß die Chance geben, weich zu werden, gebe ihm eine sanfte Einführung in den Marathon von Kona. Gefühlte Schwärme von Frauen überholen mich. Und ich muss es geschehen lassen und habe keine Chance, mich zu wehren. Tripple vor mich hin. So schnell wie es eben geht.
Der Spassfaktor hat sich in der Erde vergraben. Die Hitze drückt. Nach 15km habe ich mich an Schmerzen und den untauglichen Fuss gewöhnt, der Schmerz hat sich teilweise ins Knie verzogen. Allerdings machen sich es sich unter meinen Fusssohlen Blasen gemütlich. Ich möchte allen schwer davon abraten in Kona die Noppensocken von Compresssport zu tragen. Denn jede dieser Noppen bohrte sich in meine müden Füße wie Nägel. Das langsame Laufen, das ständige Kühlen mit Wasser. Perfekter Nährboden für Blasen. Aber ich laufe weiter. Ein Schritt nach dem anderen. Ich weiss zwar, dass es mit einer Top-Platzierung nichts mehr wird, aber ich liege stabil auf Platz dreizehn und das muss ich jetzt nur noch heimlaufen. Langsam reduzieren sich die Kilometer. Energy lab. Alles ok. Noch ein Schritt und noch ein Schritt. Bald habe ich es geschafft. Nur noch acht Kilometer. Ein langes Jahr neigt sich dem Ende zu und ich habe gut performt. Ok, nicht ganz so wie ich wollte. Aber unter den Umständen doch wirklich super! Im Energy lab habe ich mir noch eine Dose mit Espresso deponiert. Für den letzten Push zum Homerun. Das Gegenteil ist der Fall, der Espresso kippt meinen Magen. Tausendmal erfolgreich im Training probiert und nun einmal in Kona. Mir wird kotzübel und nichts geht mehr. Ein Schritt noch und ich muss mich übergeben. Das war es mit dem Rennen: Ich muss gehen. Fuck!! Die Füsse fühlen sich an, als hätte sich die komplette Haut abgelöst, wenn ich laufe, dann kann ich diesen Schmerz besser verdrängen. Aber wenn ich gehe, raubt es mir schier den Verstand. Und ich kann nicht Laufen, denn gegen die Übelkeit bin ich machtlos. Andere würden sich übergeben. Das kann ich nicht, hier ist meine Grenze und über die kann ich nicht. Mit schmerzverzogenem Gesicht kämpfe ich mich wimmernd über den Highway. Und die Minuten zerrinnen. Wieder und wieder versuche ich zu laufen. Aber verdammt, es geht nicht. Die Sonne steht noch hoch. Noch habe ich alle Möglichkeiten, wenn ich nur ganz ganz langsam laufe, dann kann ich immer noch deutlich unter 11 Stunden bleiben. Trotz der ganzen Schwierigkeiten. Aber es geht nicht und es geht nicht. Vor Minuten waren es nur noch acht Kilometer, doch innerhalb eines Moments wird daraus eine Unendlichkeit. Auf der Strasse wächst ein Mount Everest und er wird jeden Moment höher.
Nach drei Kilometern unendlicher Verzweiflung steht da plötzlich Julie am Wegesrand. Ich schmeisse Ihr den verdammten Espresso-Trinkgürtel zu. Mein Magen atmet befreit auf. So als hätten ihn die letzten Tropfen des blöden Espressos in den Trinkflaschen verhext. Julie plaudert mir nette Dinge zu. Und ich schöpfe Hoffnung. Irgendwann sage ich „Bitte hör jetzt auf zu reden“ (ohne bitte) und laufe los. Nicht schnell. Aber ich laufe. Laufe das Ding heim. Meinen dritten Ironman Hawaii.
Fluch und Segen. Das geilste Rennen der Welt. Von mir leider noch nicht bezwungen. Aber ich komme immer wieder gerne wieder. Denn nichts ist schlimmer, als aufzuhören an sich zu glauben und seinen Träumen zu folgen. Und der Weg ist Teil der Reise. Und ich genieße ihn in vollen Zügen! Und eines Tages, da wird die Insel mir erlauben die Zügel loszulassen und dann stehe ich da auf dem Podium. Aber von den vielen Tagen, die diesem vorhergingen und vorhergehen werden, von denen bereue ich keinen einzigen!
Ich habe ein großartiges Jahr hinter mir und wieder so viele neue, inspirierende Menschen kennenlernen dürfen! Und ich danke von Herzen allen, die mich auch dieses Jahr wieder so treu auf meinem Weg begleitet und unterstützt haben. Natürlich zuallererst Julia Gerstenberger, dann meinen Eltern, meiner Trainerin Lisbeth Kristensen mit ihrer Konsequenz und Zuversicht, Team Erdinger Alkoholfrei, Constanzo Esposito, Robert Karrasch von Pirate-Bikes, MC Pirate, Trisutto, und insbesondere Brett Sutton, den Trisutto Mallorca Birds und so viele viele andere, die man hier nicht im Ansatz aufzählen kann. Danke, danke, danke!! Und wenn ich dann in zwei Jahren endlich die Holzschale bekomme, dann teile ich sie mit Euch allen und jeder bekommt einen Schnitz!
Bettina Strehl