Brutal Extreme Half Triathlon
Llanberis, Wales, 20.09.2014
Brutalbru¦tal [bruːt(ə)l]: 1. roh, gefühllos und gewalttätig; 2.schonungslos, rücksichtslos
Silverback silver¦back [ˈsɪlvəbak]: Gorilla. Ältestes und dickstes Männchen in der Gruppe
Wales. Selbst das Fremdenverkehrsamt gibt in seiner Selbstdarstellung zu, dass es in Wales die Hälfte des Jahres regnet. Den Rest der Zeit ist es kalt. Genau der richtige Ort für Triathlons, die sich „The Brutal Extreme“ nennen. Dahinter stecken „Brutal Events“, das heißt in der Hauptsache Claire Smith und Richard Prideaux, die sich die hässlichsten Herausforderungen ausdenken, vom Meeresschwimmen im Januar (!) bei 6° über 24-Stunden-Läufe mit über 3000 Höhenmetern bis zum Triple-Ultra-Triathlon in den walisischen Bergen. Und natürlich probieren sie das auch vorher selber alles aus. Nächstes Highlight: Ein 10fach-Ultra-Triathlon quer durch Großbritannien. Überflüssig zu sagen, dass Claire gerade dafür trainiert…
Wales im September also. Wir sind für den „Brutal Half“ gekommen, die Halbdistanzvariante, bei der sowohl Rad- als auch Laufstrecke über 1.200 Höhenmeter aufweisen. Im verschlafenen Llanberis angekommen, sind wir überrascht (die Waliser bestimmt auch), das Wetter kommt fast sommerlich daher. Also, jedenfalls für britische Verhältnisse…
Malerisch, oder?
Am Rennmorgen setzt sich die Glückssträhne fort: Das Wasser hat 15° statt der üblichen 12°. Die meisten einheimischen Starter verzichten schon auf die erlaubten Neoprenmützen und -socken, ich nicht. 15° sind immer noch saukalt… Gott sei Dank funktioniert die Atmung asthmafrei, schon (im Sinne von: ich hab doch kaum trainiert…) nach 44 Minuten bin ich aus dem Wasser und renne in voller Neoprenrüstung die 300 Meter über Wiesen, Gräben und Zäune (OK, die Gatter sind am Renntag geöffnet, keiner muss klettern) ins Wechselzelt.
Hier steht die großartigste Aid-Station, die ich je bei Triathlonveranstaltungen gesehen habe: es gibt Kaffee, Tee, Kuchen und Flapjacks, weiche Riegel, die, wie ich befürchte, ausschließlich aus Haferflocken, Sahne und Butter zu bestehen scheinen. Später am Tag kommt übrigens noch Kuchen dazu, für die Lang- und Doppeldistanzler abends auch noch Suppe!
Die Radstrecke führt 2 Runden durchs hügelige bis bergige Hinterland (obwohl, Hinterland ist hier eigentlich überall), stellenweise kann man bis zur Irischen See sehen. Höhepunkt jeder Runde ist im wahrsten Sinne der Anstieg zum Llanberis Pass, von sonnigen, malerischen Mittelerde-Tälern in kalte und neblige Höhen. Überhaupt hat man die ganze Zeit das Gefühl, sich am Set vom Herrn Der Ringe zu bewegen.
OK, ein paar Ortsdurchfahrten zum Gas geben gibt es auch.
Der namengebend brutale Teil des Rennens kommt eigentlich erst auf der Laufstrecke. Die besteht aus 2 Teilen. Zuerst kommt eine 9 km-Runde um den Llyn Padarn, den See, in dem vorher noch geschwommen wurde. Nach ein paar Asphaltkilometern geht es in bergigen Wald mit winzigen Wegen. Herrlich. Beim zweiten Teil hört der Spaß dann auf. Auf etwa 7,5 km geht es auf den Mount Snowdon, den zweithöchsten Berg des Vereinigten Königreichs, und genauso lang wieder runter ins Ziel. Die Strecke ist zwar ein Touristenmagnet, aber trotzdem, auch wegen des unberechenbaren Wetters, so gefährlich, dass volle Schutzausrüstung vorgeschrieben ist: Kompass, Karte, Signalpfeife, Regenkleidung, zusätzlich warme Sachen usw., der Rucksack wurde bei der Registrierung am Vorabend sogar peinlich genau durchgecheckt.
Die erste 2 Kilometer führen auf asphaltierten Wirtschaftswegen zum Berg, dann geht es nur den Llanberis Path steil bergauf in Nebel und Regen.
Schnell weicht die Begeisterung über die Landschaft stummer Verzweiflung, bald ist es so neblig, dass man fast die eigenen Füße nicht mehr sieht, geschweige denn den Weg oder gar den Gipfel. Nur der Strom entgegenkommender Touristen, die mit der historischen Zahnradbahn hochfahren und bergab wandern wächst stetig. Das könnte ein Zeichen sein! Und tatsächlich, plötzlich stehe ich vor einem der Race Medics in gelber Warnjacke, der meine Startnummer aufschreibt und mir erklärt, dass ich am obersten Wendepunkt angekommen sei. Der Gipfel sei da drüben, ich könne aber jetzt schon wieder runter laufen. Der Gipfel also entpuppt sich als gemauerter Sockel mit einer schmucken Messingplatte, auf den eine kurze, steile Treppe führt. Oben drängen sich etwa 20 Touristen um die beste Fotoposition.
Ich wähle ein sicheres Plätzchen, ein paar Stufen tiefer, für denselben Zweck. Danach beginnt das „Große Zittern“. Ich habe von einem Moment auf den anderen plötzlich kein bisschen Kraft mehr, zittere vor Kälte. Gott sei Dank habe ich ja meine Bergausrüstung dabei, ich ziehe alles an, was ich im Rucksack finde. Langsam und vorsichtig klettere ich über die unwegsamen und mittlerweile nassen und rutschigen Steinplatten, die sich bergauf als Weg ausgaben, bergab.
Nach einiger Zeit wird mir dann doch wieder warm, ich packe alle überflüssige Kleidung wieder ein, falle über meinen Proviant her und gewinne tatsächlich wieder Kraft. Kraft genug, um die weiter unten noch nebelfreie Landschaft zu genießen und wieder in Lauftempo zu verfallen.
Zu meiner Überraschung funktioniert das ganz gut, ich überhole so einige, die noch kurz vorher an mir vorbei gezogen sind. Irgendwann laufe ich dann wieder auf Asphalt, bin schnell wieder im Ort und biege auf das Veranstaltungsgelände ein. Die Zeitnahme piept, ich bin im Ziel. Als Claire mir die Finishermedaille (die coolste übrigens, die ich je bekommen habe) umhängt, bin ich erstmal nur froh, dass es vorbei ist, das Rennen hat seinem Namen alle Ehre gemacht. Dass dabei ein zweiter Platz in der Altersklasse herausgesprungen ist, meine beste Platzierung jemals, ahne ich zu dem Zeitpunkt noch gar nicht…
Nachwort:
Wenn sich also mal jemand so richtig (im Sinne von: aber mal so richtig richtig) die Kante geben will, dazu in einer der schönsten Landschaften Europas, dem sei diese Website dringend ans Herz gelegt: www.brutalevents.co.uk
Daniel Flöttmann
a.k.a. Sgt. Silverback