„The biggest limiter is not the body; it’s the mind“ (Joe Friel)
„Meine Herren, jetzt wird es pychologisch“ („Das Boot“, D, 1981)
Die Nacht vor dem Rennen. Ich träume. Natürlich vom Wettkampf. Lofoten Triathlon Extreme (4km/196km/45km). Alles läuft hervorragend: Das Schwimmen war kalt, sehr kalt, 14°C, aber schnell. 4.400m in 1:37h, hervorragende Zeit für mich. Die Orientierung im Hafen von Svolvaer hat gut funktioniert, ich bin fast Ideallinie geschwommen. Probleme gab es keine. Mittlerweile sitze ich auf dem Rad und genieße die unglaubliche Landschaft der Lofoten. Es geht stetig auf und ab, kann aber rhythmisch und kraftvoll fahren. Gott sei Dank wenig Wind, nur 4 m/s. Bis Leknes, bei 80 km, bin ich im 30er Schnitt unterwegs. Ach, wenn doch morgen auch alles so liefe… Doch etwas ist komisch. Ich wache nicht auf, müsste längst los zum Start. STOPP! Ich träume gar nicht. Die Nacht ist längst vorbei und dem Rennmorgen gewichen. Und alles, ALLES ist wahr!
Das Schwimmen in Bestzeit ist echt. Der Wechsel, trotz durch die Kälte gefühllos gewordener Hände kein endloses Irren und Zerren, wie beim Norseman, sondern unter 9 Minuten erledigt.
-Gut gelaunt nach dem Schwimmen, der Fanclub eilt voraus-
Das Radfahren ein auch tatsächlich traumhaft, es läuft wirklich alles rund. Wie kann das kommen? Mein Training war vom Umfang her sicher nur an der unteren Sinngrenze angesiedelt, inhaltlich unspektakulär. Das ganze Jahr bin ich nur im maximal 25er Schnitt herumgeeiert. Erst am Wochenende vor der Reise ist es mir gelungen, die Bielefelder RTF einmal oberhalb von 27 km/h durchzuhalten. Kann das so viel Selbstvertrauen gegeben haben? Das hatte ich so noch nie!
Nun, für 196 km hält die Euphorie nicht ganz, später wird es dann doch noch sehr anstrengend. Trotz der unwirklich schönen Kulisse hier, 200km nördlich des Polarkreises. Der Wind frischt auf, aus den kleinen Auf-und-ab´s werden echte Steigungen. Trotzdem, einen solchen Anblick hat mir noch kein Wettkampf meines Lebens geboten. Gut 7:00h stehen auf der Uhr, als ich wieder in die Wechselzone in Svolvaer rolle. Knapp unter einem 28er Schnitt, über eine Stunde vor dem Cut-Off von 10 Stunden.
Was jetzt folgt, würde man in wichtigen, hochkompetenten Rennanalysen eine Schlüsselphase nennen. Für mich ist es schlicht und ergreifend die Stunde der Wahrheit. 12:30h nach dem Start muss der 25km-Punkt beim Lauf erreicht werden, sonst gibt es aus Sicherheitsgründen keine Erlaubnis, den Wettkampf auf den anschließenden 20 Off-Road-Kilometern fortzusetzen. An der Stelle schwenkt die Laufstrecke nämlich von der Straße ins Gelände ab und führt über zwei Berge. Zwischen beiden, bei 36km, gibt es ein zweites Cut-Off. Wer hier nicht bis 22:00 Uhr ankommt, muss das Rennen beenden.
Ich kontrolliere also ununterbrochen mein Tempo, rechne fortwährend mögliche Zwischenzeiten und Szenarien durch. Jetzt wird es echt psychologisch. Der Schnitt fällt von 6:00 auf über 7:00 min/km, plötzlich schmilzt das Zeitpolster auf gefährliche Restgröße. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich das Tempo durchhalten werde, also verbiete ich mir, ganz gegen meine Gewohnheit, jegliche Gehpause. Und wirklich, zum ersten Mal seit Jahren gelingt es mir, 25km im Wettkampf durchzulaufen. Tut aber mittlerweile weh, Gott sei Dank ist die norwegische Rennverpflegung mit Kartoffelchips, Bananen und gesalzenen Nüssen ungewohnt, aber genau das, was ich jetzt so brauche. Am Ende erreiche ich den Checkpoint nach 12 Rennstunden, eine halbe Stunde vor dem Cut-Off.
Den nächsten Abschnitt hatte ich bisher erfolgreich verdrängt. Die letzten 20 Kilometer. Zwei Berge, einer knapp 600m, der andere Tjeldbergtinden, 367m, dazwischen ein Hochplateau und ein Abstieg. Es war eine richtige Entscheidung, sich gedanklich nicht damit zu beschäftigen, denn die Wirklichkeit schlägt alle Vorstellungskraft. Nachdem ich meinen Rucksack mit der vorgeschriebenen Sicherheitsausrüstung aufgenommen habe, finde ich mich plötzlich im weglosen Dickicht und folge einer knöcheltiefen Schlammspur, die die Rennstrecke sein soll. Nach endlosem Aufstieg ist ein wegloses Plateau zu überqueren. Ein landschaftlich einzigartiges Erlebnis, ein wenig beunruhigend nur, wenn man das zweite Cut-Off im Nacken hat. Ich habe nicht die geringste Ahnung, welche Hürden mich noch erwarten. Da wäre zu Beispiel ein See, an dessen Steilufer sich die Wegspur entlang windet. Hier bekomme ich es erstmals mit der blanken Angst zu tun, nach der Renndauer ist es hier echt nicht ungefährlich. Dafür ist das Wasser so sauber, dass ich meine Flaschen direkt aus dem See nachfüllen kann. So geht es immer weiter, ich verliere jedes Gefühl für Zeit und Raum, mein Forerunner hat bei 33km die letzte Akkuladung ausgehaucht. Ich verlasse mich auf meine Hoffnung, schnell genug unterwegs zu sein, weiß nur eben leider nicht, wo…
Kurz gesagt, es reicht. Um 21:30 Uhr erreiche ich den letzten Checkpoint und darf die finalen 9km über den Tjeldbergtinden antreten. Trotz der geringeren Höhe ist dieser Teil der Strecke bei Weitem nicht einfacher. Es wird kalt und vor allem dunkel, noch während des Aufstiegs zum Gipfel muss ich meine Stirnlampe anschalten. Trotzdem bleibt die Orientierung schwierig, der Weg ist schmal und im Lichtkegel schwer zu erkennen. In der Ferne und tief unter mir leuchten die Lichter von Svolvaer. Wieder so ein postkartenreifer Ausblick, man könnte immer wieder stehen bleiben und fotografieren. Ich beschränke mich aber auf ein paar Bilder, damit mir nachher irgendwer glaubt…
Der letzte Abstieg, abenteuerlicher als alle bisher, weglos, nur mit einem Seil gesichert, liegt hinter mir, ich laufe durch die Nacht entlang der stimmungsvoll mit Kerzen markierten Strecke durch Svolvaer, dem Ziel entgegen. Nach 17:48h, um 12 vor 12, durchquere ich den Zielbogen in Form eines lofotentypischen Stockfischgestells. Ich bin 29. von 40 Teilnehmern geworden, alle anderen haben aufgegeben oder sind an den Cut-Offs gescheitert. Man feiert den letzten Finisher fast wie den Sieger, gut nur, dass ich nicht vorletzter geworden bin…
-Aber anstrengend war es dann irgendwie doch…-
Der Lofoten Triathlon Extreme ist Geschichte. Für mich bleibt er der schönste, eindrucksvollste und auch leistungsmäßig der beste Wettkampf, den ich je vollendet habe. Die Landschaft ist schlicht unbeschreiblich schön, das Veranstalterteam ist enthusiastisch, mit Herzblut bei der Sache und durch und durch sympathisch. Für mich selber war das Rennen eine Lehrstunde in mentaler Stabilität. Nicht ein einziges Mal habe ich das Vertrauen und die Kontrolle verloren, in meinen Augen der Schlüssel zum Durchhalten. Ich könnte nicht zufriedener sein, zum ersten Mal ist es mir gelungen, mir nicht an irgendeinem Punkt des Rennens von den äußeren Bedingungen die Kontrolle abnehmen zu lassen.
Am Ende ist es dann also doch ein Traum geworden.
Nachspann:
Die Hardware
Felt AR1, aerycs Laufräder mit den Schwalbe Pro ONE, von der Connex 11SX gezogen, SQlab 612 Sattel, 2 Pirate Fresstaschen mit einer Handvoll leckeren Powergels…
Die Bilder sind von mir, von Susanne Flöttmann und von Volker Strobel. Danke an Volker für die Erlaubnis, sie zu verwenden!
Website des Rennens:
Daniel Flöttmann
a.k.a.
Silverback